Die meisten Eltern halten Langeweile für etwas Schlechtes und versuchen, ihre Kinder andauernd zu beschäftigen. Das liegt daran, dass sie Langeweile als ein elterliches Versagen ansehen – wodurch leider ihren Kindern die Kindheit gestohlen wird. Viele von uns, deren Eltern Einwanderer der ersten Generation (und im Wesentlichen aus der Arbeiterklasse) waren, werden sich wahrscheinlich daran erinnern, dass wir als Kinder sehr wenig zum Spielen hatten. Vereine und organisierte Aktivitäten nach der Schule standen oft nicht zur Verfügung, und teures und lautes Spielzeug blieb zumeist ein Traum. Doch wir hatten unsere Fantasie und konnten trotzdem spielen. Wir erfanden die aufwändigsten und extravagantesten Welten, in denen wir uns vorstellten, Piraten, Soldaten, Köche und vieles mehr zu sein. Wir verbrachten unzählige Stunden damit, draußen umherzurennen, wodurch wir Kalorien verbrannten und stärker wurden. All das gehört zum Großwerden dazu.
Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass Langeweile eine gute Sache ist, da sie Kinder dazu bringt, Lösungen zu finden. Langeweile kann die Kreativität anregen und hilft Kindern, Problemlösung zu lernen. Sie stärkt die Eigenwahrnehmung und erlaubt ihnen, auch alleine Zufriedenheit und Behaglichkeit zu empfinden. All dies sind Fähigkeiten, die ihnen bis ins Erwachsenenalter hinein helfen werden.
Verschiedene Faktoren führen leider dazu, dass Eltern sich veranlasst sehen, ihren Kindern von morgens bis abends etwas zu bieten. Zu diesen Faktoren gehören sowohl das Gefühl der Eltern, mit gesellschaftlichen Ansprüchen mithalten zu müssen, als auch das in der Gesellschaft verankerte kapitalistische Streben, möglichst viele Produkte zu verkaufen und darüber hinaus ein falsches Verständnis von kindlicher Entwicklung. Unsere Angst vor der Langeweile führt dazu, dass wir unsere Kinder zu Hyperfokussierung drängen, weshalb ihre Aufmerksamkeit auch fortwährend bedient werden muss. Tесhnоlоgie hat sich zu einer einfachen Lösung entwickelt, diese Lücke zu füllen. Die Unterhaltungsindustrie zielt darauf ab, uns pausenlos zu beschäftigen.
Allerdings ist es wichtig festzustellen: Langeweile ist nicht immer eine negative Sache; vielmehr birgt sie mehrere Vorteile für die kindliche Entwicklung.
Lies weiter, um mehr über die Vorteile von Langeweile für Kinder zu erfahren.
1. Langeweile zwingt zum Nachdenken
Langeweile ermöglicht es Kindern, ihre Interessen zu entdecken. Wenn Kinder sich langweilen, sind sie gezwungen, über ihre eigenen Interessen nachzudenken. Sie kommen ins Grübeln über die verschiedenen Möglichkeiten, die sie haben, und entscheiden sich für das, was sie inspiriert und anzieht. Wenn wir Kindern ständig bestimmte Aktivitäten aufzwingen, wird ihnen diese Zeit, über ihre eigenen Interessen nachzudenken, nicht gewährt.
Manchmal brauchen Kinder Anleitung darüber, wie sie ihre Zeit nutzen sollen, aber zu anderen Zeiten müssen sie auch sich selbst überlassen werden. Wenn man den Fernseher ausschaltet, die Smartphones wegnimmt und die Kinder sich selbst überlässt, wird man erstaunt sein zu sehen, wie ein Kleinkind beginnt, mit seinen Puppen zu spielen oder ein Vorschulkind ein Buch hervorholt und darin blättert, völlig vertieft. Kinder plappern auch sehr oft vor sich hin, was für das Erlernen und die Entwicklung der Sprache sehr wichtig ist. Wenn dein Kind ständig beschäftigt ist, wird es dieser wertvollen Reflexionszeit beraubt, während der es vertiefte Eigenwahrnehmung und ein besseres Verständnis für sich selbst entwickelt.
2. Langeweile erzeugt Kreativität
Kreativität kann nicht beigebracht werden, sie ist im Menschen verankert. Wie die Wellen im Meer tritt sie auf, wo es ihr gefällt. Bei den meisten Menschen ist die Kreativität fest angebunden – wenn man sie aber von der Leine lässt, kann es zu spektakulären Ergebnissen kommen. Diese Kreativität kann jedoch nicht freigelassen werden, wenn man den Menschen nicht die Zeit gibt, ganz unbekümmert experimentell zu sein. Das Gleiche gilt für Kinder, die ihre eigene innere Kreativität entdecken und sich trauen müssen, sie auszudrücken. Dies kann nur geschehen, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, ihr eigenes Spiel zu erfinden.
„Spielen ist die Arbeit des Kindes“ lehrt uns die renommierte Montessori-Pädagogik. Kinder haben ein Recht auf ungestörte Spielzeit, so wie wir als Erwachsene ungestörte Zeit zum Arbeiten wollen. Wenn man dies ermöglicht und die Kinder einfach beobachtet, wird man staunen, was sich vor den eigenen Augen entfaltet. Kinder können aus fast jedem Gegenstand in ihrer Umgebung auf kreative Weise Spielzeuge bauen, und sich dann sehr intensiv damit beschäftigen. Diese Kreativität kann nur gefördert werden, wenn wir bereit sind, unseren Wunsch nach Kontrolle zu zügeln.
Dies wird durch die Forschungen von Dr. Tеrеѕа Belton an der englischen Unіvеrѕіtу оf Eаѕt Anglіа gestützt, die zeigen, dass Langeweile die Vorstellungskraft stärken kann und Menschen motiviert, aus ihrer ermüdenden Routine auszubrechen.
Dr. Belton konzentriert sich auf die Wechselwirkung zwischen Langeweile und Vorstellungskraft. Sie erklärte der BBC, dass Langeweile fundamental wichtig sei für die Entwicklung eines „internen Stimulus“, also eines inneren Auslösers, der dann wahre Kreativität ermögliche. Nach der Prämisse zu handeln, Kinder müssten andauernd aktiv sein, könne die Entwicklung ihrer Vorstellungskraft behindern, wohingegen Langeweile ihre Kreativität stärken könne.
3. Langeweile bildet Selbstvertrauen und Unabhängigkeit
Langeweile zwingt Kinder dazu, über Probleme und deren mögliche Lösung nachzudenken. Dadurch steigt das Vertrauen in ihre Fähigkeit, selbstständig zu handeln. Wenn Kinder praktikable Lösungen finden können, werden sie sich mit noch mehr Zuversicht auf sich selbst verlassen. Das kann später im Leben von unschätzbarem Wert sein, wenn sie ihre eigenen Angelegenheiten regeln müssen. Kinder, die diese Fähigkeiten in jungen Jahren entwickeln, werden im Erwachsenenalter besser für Probleme gerüstet und in der Lage sein, sich auf sich selbst zu verlassen. Als Erwachsene wissen wir, dass dies bedeutende Fähigkeiten sind. Wenn wir also Kindern nicht erlauben, sich in diesen Schlüsselbereichen zu entwickeln, kann es für sie später im Leben schwer werden.
Wie man ein gelangweiltes Kind lenkt
Konstruktive Langeweile, das heißt Möglichkeiten bieten, anhand derer Kinder ihre Kreativität nutzen können, ist unerlässlich für die mentale und emotionale Entwicklung des Kindes. Allerdings benötigen Kinder die Führung ihrer Eltern, wenn ihre Langeweile produktiv sein und zu Kreativität führen soll. Das gilt besonders dann, wenn sich Kinder daran gewöhnt haben, beschäftigt zu werden. Dies zu ändern, wird anfangs viel aktive Anleitung erfordern.
Eltern müssen sich von Schuldgefühlen befreien, wenn ihre Kinder über Langeweile klagen, und sollten sie stattdessen auf die verschiedenen Möglichkeiten hinweisen, die sie zur Verfügung haben. Es gilt, die Kinder dazu anzuregen, ihre durch die Langeweile empfundenen Probleme zu lösen, aber dem Drang zu widerstehen, ihnen eine bestimmte Aktivität aufzuzwingen.
Das Recht des Kindes auf Spiel
Die islamische Pädagogik lehrt uns, Kindern zu erlauben, die ersten sieben Jahre ihres Lebens zu spielen. Dies wird in einer Aussage des großen Gefährten ‚Ali , möge Allah mit ihm zufrieden sein, beschrieben. In einem Klima, in dem der schulische Druck auf die jungen Köpfe und Herzen steigt, sollte dies auch in die Überlegungen der Eltern einbezogen werden. Erfolg sollte nicht über die Noten der Kinder definiert werden. Das ist nicht das Verständnis, zu dem uns unser Glaube aufruft. Vielmehr sollten wir anstreben, ausgeglichene, freundliche, mitfühlende und aufrichtige Gläubige zu werden und zu erziehen. Kindern Konkurrenzverhalten nahezubringen, damit sie nur die besten Noten erreichen, anstatt sich auf die Förderung und Entwicklung ihrer Kreativität und ihres Charakters zu konzentrieren, ist ein schwerer Bärendienst für sie; es mag gut gemeint sein, hat aber viele schlechte Folgen. Angesichts der Zunahme von Depressionen bei Kindern und Selbstmorden bei Teenagern sollte es ein Anliegen aller sein, darüber nachzudenken, was Kinder brauchen und nicht, was die Gesellschaft will.
Zusammenfassung
Die meisten Eltern wollen eigenverantwortliche Menschen erziehen, die entschlussfreudig sind und selbstständig denken und handeln können. Die Zeit eines Kindes vollständig auszufüllen, lehrt allerdings nichts außer Abhängigkeit von äußeren Anreizen, ob es sich dabei um Materielles handelt oder Entertainment. Wir sollten eine fürsorgliche Umgebung gestalten und in die natürliche Veranlagung der Kinder, ihren Geist sinnvoll zu nutzen, vertrauen. Das wird viel eher unabhängige und kompetente Kinder hervorbringen, die sich zu produktiven und nützlichen Erwachsenen entwickeln.
Jeden Moment des Lebens eines Kindes mit einem zusätzlichen Unterricht, einer Aktivität oder Unterhaltung zu füllen, nimmt ihm das Recht auf unstrukturiertes Spiel. Eben dieses Spielen ist aber entscheidend für seine Entwicklung und Selbstwahrnehmung und ist nach dem Montessori-Ansatz im Wesentlichen die Arbeit eines Kindes. So lernt das Kind mit sich und der Welt umzugehen – durch Vorstellen, Erfinden und Schaffen. Unstrukturiertes Spiel stärkt auch seine geistige und emotionale Gesundheit, da es ohne äußeren Druck oder Erwartungen im Hier und Jetzt sein darf. Freizeit und „Langeweile“ sind die Schlüssel zum Wohlbefinden eines Kindes. Durch sie können sie Kinder sein, weil sie so motiviert werden, spielerisch, kreativ und neugierig zu sein. Und das sind wiederum Eigenschaften, die Menschen ihr Leben lang zu Errungenschaften und Erfolg führen.
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Quelle: www.islam21c.com